Einundvierzig deutsche Geschädigte des albanischen Callcenter-Betrugs verlieren nicht nur sieben Millionen Euro – sondern auch jeden Anspruch auf die beschlagnahmten Vermögenswerte der Täter. Eine Rückerstattung findet nicht statt.
Der einzige Profiteur dieses Systems ist letztlich der albanische Staat.
Wie rtsh.al berichtet, sind die sieben Millionen Euro über diverse Auslandskonten und mittels Kryptowährungen spurlos verschwunden. Die sichergestellten Vermögenswerte – darunter Immobilien, Bankguthaben und Firmenanteile – hat die Sonderstaatsanwaltschaft (SPAK) im April 2025 auf Grundlage des Antimafia-Gesetzes Nr. 10192⁄2009 („Për parandalimin dhe goditjen e krimit të organizuar…“) zur Einziehung zugunsten des Staates beantragt.1 Diese systematische Ausschlusslogik ist gesetzlich verankert und nimmt ihren Ausgang in Artikel 190 der albanischen Strafprozessordnung (Kodi i Procedurës Penale).
Keine Herkunft, keine Entschädigung – Albanisches Strafrecht verweigert Rückgabe
Ein Gebäude, elf Apartments, eine Geschäftseinheit, drei Garagen, ein Grundstück, vier Obstgärten mit insgesamt 3.100 m² Fläche sowie über 19,9 Millionen Lek und 574.424 Euro auf diversen Bankkonten der Täter dürfen nicht zur Entschädigung der Opfer verwendet werden – obwohl der durch den Betrug verursachte Schaden auf über sieben Millionen Euro beziffert wird.
Gemäß Artikel 190 Absatz 1 der albanischen Strafprozessordnung (Kodi i Procedurës Penale) müssen Vermögenswerte, deren Herkunft aus einer Straftat nicht nachgewiesen wurde, an die Personen zurückgegeben werden, denen sie gehören.
Im Strafprozess selbst wurde – aufgrund der Komplexität mit 41 Geschädigten und der beantragten Verfahrensverkürzung – keine Vermögensermittlung durch SPAK durchgeführt, wie das Urteil Nr. 43 vom 8. Juli 2024 der ersten Instanz des Spezialgerichts für Korruption und organisierte Kriminalität (GJKKO) dokumentiert.2 Selbst bei einer Verurteilung gilt: Ohne Herkunftsnachweis müssen die Vermögenswerte zurückgegeben werden. Also entschied das GJKKO in erster Instanz, die Vermögenswerte an die verurteilten Täter zurückzugeben.
Ein Pendant zum deutschen § 459h der Strafprozessordnung (StPO), welcher es erlaubt, Vermögenswerte oder deren Erlös auch dann an Geschädigte auszukehren, wenn diese nicht unmittelbar aus der Straftat stammen oder lediglich als Wertersatz eingezogen wurden, existiert im albanischen Recht nicht.
Und Regierungschef Edi Rama, der Albanien seit über einem Jahrzehnt regiert, hat Artikel 190 der albanischen Strafprozessordnung bis heute nicht zugunsten der Opfer reformiert – obwohl dieser Artikel die vollständige Ausschlusslogik gesetzlich verankert.
Die verschwundenen sieben Millionen – dokumentiert, aber nicht gesichert
Insgesamt 41 deutsche Staatsbürger – überwiegend Seniorinnen und Senioren – fielen der Firma Bluenergy sh. p. k. zum Opfer: Sie wurden dazu verleitet, rund sieben Millionen Euro vermeintlich in internationale Börsen zu investieren.
Wie der öffentlich-rechtliche Sender RTSH.al berichtet, flossen die Einzahlungen zunächst auf Konten in Bulgarien, Litauen, Polen und Zypern. Von dort wurde das Geld mithilfe von Überweisungen und Kryptowährungen gezielt verschleiert – und verschwand schließlich spurlos.
Laut Urteil Nr. 43 vom 8. Juli 2024 und den Ausführungen der Sonderstaatsanwaltschaft SPAK stammen die beschlagnahmten Vermögenswerte – Immobilien, Bankguthaben und Obstgärten – nicht unmittelbar aus der Straftat. Auch im Berufungsverfahren wurde diese Einschätzung nicht revidiert; das Urteil wurde lediglich zur Neuverhandlung an die erste Instanz zurückverwiesen. Das bedeutet: Die sieben Millionen Euro, die den Kern der Straftat bilden, sind nicht Teil der beschlagnahmten Vermögensmasse.
Die Pressestelle der GJKKO bestätigte The Injustice Chronicle am 2. September 2025, dass die betreffenden Vermögenswerte bereits im April und Dezember 2024 beschlagnahmt wurden.3 Aus der offiziellen Liste geht hervor: Die verschwundenen sieben Millionen Euro sind auch im Antimafia-Verfahren nicht enthalten. Die Liste stimmt mit jener aus dem Urteil Nr. 43 der ersten Instanz überein, die in den Medien berichtet wurde.
Die gewährte Strafmilderung für die Täter – obwohl sieben Millionen Euro spurlos verschwunden sind und keinerlei Sicherungsmaßnahmen ergriffen wurden – erscheint nicht nur juristisch höchst fragwürdig, sondern verdeutlicht exemplarisch die systemische Trennung zwischen kooperativem Verhalten der Beschuldigten und einer tatsächlichen Wiedergutmachung des entstandenen Schadens.
Doppelte Blockade – Berufung und Antimafia-Verfahren verhindern zivilrechtliche Entschädigung
Gemäß den Artikeln 61 ff. der albanischen Strafprozessordnung (Kodi i Procedurës Penale) haben Opfer das Recht, eine zivilrechtliche Klage auf Schadensersatz zu erheben – entweder innerhalb oder außerhalb des Strafverfahrens.
Im Fall Bluenergy entschied das Spezialgericht für Korruption und organisierte Kriminalität (GJKKO) mit Urteil Nr. 43 vom 8. Juli 2024, dass die Zivilklagen nicht gemeinsam mit dem Strafprozess verhandelt werden konnten, da die beschlagnahmten Vermögenswerte nicht aus der Straftat stammten. Die Klagen wurden daher an das Zivilgericht verwiesen.
Doch das Zivilgericht lehnte den Antrag des Anwalts eines der Geschädigten am 16. November 2024 mit Urteil Nr. 17512 ab.4 Die Begründung: Eine doppelte Beschlagnahmung sei ausgeschlossen, da die Vermögenswerte bereits gesichert worden seien.
Dass die Vermögenswerte tatsächlich beschlagnahmt wurden, bestätigte die Pressestelle der GJKKO am 2. September 2025 gegenüber The Injustice Chronicle: Die betreffenden Vermögenswerte wurden im April und Dezember 2024 im Rahmen eines Antimafia-Verfahrens gesichert.5
Parallel dazu haben SPAK und die verurteilten Täter Berufung gegen das Urteil Nr. 43 eingelegt. Auch diese Information wurde von der Pressestelle der GJKKO am 2. September 2025 bestätigt.6 Die Berufungsinstanz hat das Urteil der ersten Instanz nicht bestätigt, sondern wegen Verfahrensfehlern aufgehoben und zur Neuverhandlung an die erste Instanz zurückverwiesen.
Damit ist auch die Entscheidung zur zivilrechtlichen Entschädigung nicht rechtskräftig – und bleibt juristisch blockiert. Die Vermögenswerte sind durch das laufende Antimafia-Verfahren gesichert, die Berufung verhindert eine strafrechtliche Klärung, und die Zivilgerichte verweisen auf bestehende Sicherungsmaßnahmen.
Die Geschädigten können somit weder die verschwundenen sieben Millionen Euro zurückerhalten, noch aus den beschlagnahmten Vermögenswerten der Täter zivilrechtlich entschädigt werden.
Dritte Blockade – Die unterlassene Rückverfolgung der sieben Millionen Euro
Die zivilrechtliche Verfolgung der sieben Millionen Euro wäre möglich gewesen – auf zwei Ebenen:
Juristisch:
Das albanische Zivilrecht erlaubt Schadensersatzklagen gegen Täter, auch wenn das Strafverfahren stockt. Artikel 422/E des Kodi i Procedurës Penale bestätigt: Opfer haben kein Berufungsrecht im Strafverfahren, selbst wenn sie als Nebenkläger auftreten. In Deutschland hingegen erlaubt § 401 StPO dem Nebenkläger Berufung beim Amtsgericht und Revision beim Landgericht – ein struktureller Unterschied, der die juristische Isolierung der Opfer in Albanien dokumentiert.
Technisch:
Laut anwalt.de können Opfer auch dann aktiv werden, wenn die Strafverfolgung ins Stocken gerät – insbesondere bei Kryptowährungen. Jede Transaktion ist auf der Blockchain dokumentiert – technisch nachvollziehbar und dauerhaft gespeichert. Die Täter befanden sich in Haft und waren juristisch greifbar. Auch die Opfer waren vor Gericht präsent – mit anwaltlicher Vertretung und formeller Nebenklage. Eine Rückverfolgung der Transaktionen wäre technisch und juristisch möglich gewesen: Blockchain-Forensik, gerichtliche Anordnung und internationale Kooperation hätten die Spur rekonstruieren können.
Dennoch wurde diese doppelte Möglichkeit nicht genutzt. Der Anwalt der Opfer beantragte im Zivilverfahren der ersten Instanz nicht die Rückholung der sieben Millionen Euro, sondern konzentrierte sich auf die beschlagnahmten Vermögenswerte – obwohl diese bereits im Antimafia-Verfahren zugunsten des Staates gesichert waren. Im November 2024 äußerte er gegenüber The Injustice Chronicle, er hoffe auf eine symbolische Entschädigung nach Artikel 37 des Antimafia-Gesetzes – ein symbolischer Akt im Vergleich zum tatsächlichen Verlust.
Entschädigung ausgeschlossen – Opfer als Zahl, nicht als Anspruch
In den Punkten 129 und 130 des Urteils Nr. 43 vom 8. Juli 2024 des Sondergerichts für Korruption und organisierte Kriminalität (GJKKO) wird die Entschädigung der Opfer juristisch behandelt.7 Die Aussagen betreffen die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Wiedergutmachung – auch für ausländische Geschädigte. Das heißt: Die Entschädigung existiert als juristische Spur.
Doch in keiner Pressemitteilung der GJKKO, in keinem Medienbericht zum Callcenter-Betrug, findet sich ein Satz zur Entschädigung der Personen, die von der Kriminalität betroffen sind. Nicht einmal dort, wo die Namen der Opfer im Urteil genannt sind, wird öffentlich anerkannt, dass sie einen Anspruch haben.
Die Entschädigung existiert im Urteil – aber nicht in der Öffentlichkeit. Sie wird juristisch benannt – aber redaktionell getilgt. Man bekommt den Eindruck, als sei die Entschädigung selbst ein Geheimnis – oder als würde die Verurteilung der Täter das, was die Opfer erlebt haben, bereits wiedergutmachen.
Selbst wenn man gezielt nach Entschädigung fragt, bleibt die Antwort aus.
Die Anfrage von The Injustice Chronicle an das Zivilgericht Tirana – gestellt im Januar 2025 – wurde bis heute nicht beantwortet.
Und die Anfrage vom 28. August 2025 zur Möglichkeit einer Entschädigung der geschädigten deutschen Staatsbürger – gerichtet an das Sondergericht für Korruption und organisierte Kriminalität (Gjykata e Posaçme e Shkallës së Parë për Korrupsionin dhe Krimin e Organizuar, GJKKO) – wurde am 2. September 2025 wie folgt beantwortet:
„Kjo pikë e kërkesës suaj, e cila ka të bëjë me vlerësimin e ndikimit juridik dhe praktik të një procedimi pasuror, është në tejkalim të drejtës për informim.“8
Aus dem Albanischen heißt es:
„Der Punkt Ihrer Anfrage, der sich auf die Bewertung der juristischen und praktischen Auswirkungen eines Vermögensverfahrens auf die Entschädigung der Opfer bezieht, überschreitet den Rahmen des Informationsrechts.“
Die Pressestelle der GJKKO teilte The Injustice Chronicle mit, dass die Frage zur Entschädigung nicht beantwortet wird – weil sie nicht als „informacion publik“ gilt. Die Behörde beruft sich auf Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 119⁄2014 „Për të drejtën e informimit“ und klassifiziert die Frage als juristische Bewertung – nicht als registrierte Information.
Doch gefragt wurde nicht nach Meinung.
Gefragt wurde nach Verantwortung.
In Wirklichkeit bleiben die Betroffenen Opfer – nicht nur durch den Betrug, sondern durch die systematische Verweigerung der Wiedergutmachung.
- Siehe Antwort der Pressestelle der GJKKO vom 2. September 2025 auf die Informationsanfrage Nr. 43 vom 28. August 2025, verfasst von Elsa Lita. Dokumentiert in: GJKKO_Antwort_Informationsanfrage_43_02-09–2025_ElsaLita.pdf. ↩︎
- Siehe Urteil43_GJKKO_Seite236_2024-07–08_ErmittlungenUnvollständig_Artikel10192.pdf ↩︎
- Siehe Antwort der Pressestelle der GJKKO vom 2. September 2025 auf die Informationsanfrage Nr. 43 vom 28. August 2025, verfasst von Elsa Lita. Dokumentiert in: GJKKO_Antwort_Informationsanfrage_43_02-09–2025_ElsaLita.pdf. ↩︎
- Siehe Zivilgericht_Tirana_Urteil_17512_2024-11–16_EntschädigungAbgelehnt.pdf ↩︎
- Siehe Antwort der Pressestelle der GJKKO vom 2. September 2025 auf die Informationsanfrage Nr. 43 vom 28. August 2025, verfasst von Elsa Lita. Dokumentiert in: GJKKO_Antwort_Informationsanfrage_43_02-09–2025_ElsaLita.pdf ↩︎
- Siehe Antwort der Pressestelle der GJKKO vom 2. September 2025 auf die Informationsanfrage Nr. 43 vom 28. August 2025, verfasst von Elsa Lita. Dokumentiert in: GJKKO_Antwort_Informationsanfrage_43_02-09–2025_ElsaLita.pdf ↩︎
- Urteil43_Punkte_129_130_GJKKO_Seiten_237_238.pdf ↩︎
- Die Antwort der Pressestelle vom 2. September 2025 verweigert die Auskunft zur Entschädigung mit Verweis auf das Informationsgesetz. Siehe: GJKKO_Antwort_Informationsanfrage_43_02-09–2025_ElsaLita.pdf ↩︎
