Ein Darlehen.
Vier Klagen.
Und schließlich: Ende 2021 – ein Insolvenzverfahren. Eingeleitet zu einem Zeitpunkt, als die Ermittlungen wegen Geldwäsche bereits eingestellt waren.
Die Ausgrenzung der Darlehensnehmerin, exakt sieben Tage vor Jahresende, wirkte wie ein privates Scheitern; wie ein natürlicher Verlauf, wie ein selbst verschuldeter ökonomischer Niedergang.
Vier Wochen nach Unterzeichnung des Vertrags im August 2020 über ein Darlehen in Höhe von 150.000 Euro – bestimmt für Investitionen in das Unternehmen der Darlehensnehmerin – forderte die Darlehensgeberin, vertreten durch ihre gesetzlichen Vertreter, die Einleitung eines Insolvenzverfahrens.
Diese Aufforderung veranlasste die Unternehmerin zur Erstattung einer Strafanzeige wegen Geldwäsche, weil es absurd ist, erst ein Darlehen zu gewähren und gleich darauf ein Insolvenzverfahren von der Darlehensnehmerin für ihr Unternehmen zu fordern.
Doch die Staatsanwaltschaft bewertete den Vorgang nicht als Zwang durch die Darlehensgeberin, sondern als wirtschaftlich bedingte Entwicklung innerhalb des Unternehmens. Sie erkannte darin kein gezieltes Herbeiführen einer Insolvenz, sondern interpretierte die Situation als Folge unternehmensinterner Dynamiken – obwohl die Rückzahlungsforderung über 150.000 Euro unmittelbar nach der Investition derselben Summe erfolgte und damit, rein rechnerisch, ein Negativsaldo von exakt 150.000 Euro entstand, der eine reale Zahlungsfähigkeit des Unternehmens zu diesem Zeitpunkt faktisch ausschloss.
Kurz darauf folgte der Mahnbescheid – beantragt von der Darlehensgeberin, deren gesetzlicher Vertreter ihn bereits im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung angekündigt hatte.
Der Widerspruch der Unternehmerin löste den juristischen Konflikt aus, und die darauf eingereichte Klage mündete unmittelbar in ein öffentlich einsehbares Insolvenzverfahren.
So entsteht eine Erzählung, die systemisch wirkt: Das wirtschaftliche Scheitern erscheint als individueller Prozess, das Recht als universell gültige Instanz – für alle gleich. Was folgt, gilt als funktionierendes Sicherheitsnetz: ein Sozialstaat, der im Fall des Falles unterstützt – selbst dann, wenn die Unterstützung nur noch in der Möglichkeit besteht, über Sozialhilfe Einkommen zu generieren.
Und anschließend hilft – zumindest scheinbar — der Sozialstaat im Insolvenzfall bei der Stabilisierung: sei es durch Restleistungsansprüche oder durch die Möglichkeit, über Sozialhilfe eigenes Einkommen zu generieren.
Doch wer genauer in die Akten sieht, erkennt Folgendes:
Im Rahmen der Strafanzeige wegen Geldwäsche wurde weder das Auskunftsersuchen zu den Konten des gesetzlichen Vertreters der Darlehensgeberin ausgewertet, noch das Auskunftsersuchen zum Geschäftskonto der Darlehensgeberin fortgeführt. Für weitere 38 Bankkonten, die dem gesetzlichen Vertreter zugeordnet waren, erfolgte keine polizeiliche Abfrage. Und aus dem Vorwurf der Geldwäsche wurde schließlich ein anderes Delikt konstruiert.
Wer die Mahnakte liest, erkennt einen Bruch mit juristischen Standards:
Wie das, was im elektronischen Verfahrenssystem als unzulässig angezeigt wurde, von der zuständigen Rechtspflegerin manuell als zulässig behandelt wurde.
Wie ein Mahnbescheid, der der tatsächlichen Empfängerin – der Darlehensnehmerin – hätte zugestellt werden müssen, stattdessen dem manuell eingetragenen gesetzlichen Vertreter zugestellt wurde.
Wie dieser Vertreter Widerspruch gegen den Mahnbescheid einlegte – trotz ausdrücklicher Untersagung durch die Antragsgegnerin.
Und wie durch den Eingriff der Rechtspflegerin in das Mahnverfahren eine Klage überhaupt erst ermöglicht wurde.
Zudem wurde ein Rechtsstreit über 150.000 Euro vor einem Amtsgericht eingeleitet – obwohl Amtsgerichte gemäß § 23 GVG nur bis zu einem Streitwert von 5.000 Euro zuständig sind.
Darüber hinaus zeigt sich, dass die Darlehensnehmerin als Unternehmerin nicht durch Kapitalmarktmechanik, sondern durch eine politisch hergestellte Struktur ausgegrenzt und gesellschaftlich marginalisiert wurde.
Und schließlich wird sichtbar: Die Ausgrenzung der Darlehensnehmerin – durch das Insolvenzverfahren und die Ausschaltung ihres Unternehmens – erfolgte nicht durch ökonomischen Wettbewerb, sondern durch administrative Entscheidungen. Entscheidungen, die sich von den Ermittlungsakten bis einschließlich des Insolvenzverfahrens erstrecken und die systematische Ausschaltung dokumentieren.
So wird strukturelle Ungleichheit von der Verwaltung erzeugt.
Die Öffentlichkeit, die nur das Insolvenzverfahren sieht, versteht es als natürlichen Verlauf – als unvermeidliches Scheitern. Wenn die Unternehmerin (Darlehensnehmerin) zudem nicht deutscher Herkunft ist und infolge der Insolvenz Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss, verfestigt sich eine Meinung, die strukturell wirkt:
Sie sei den kapitalistischen Marktbedingungen nicht gewachsen und erhalte nun jenes Geld, das andere Deutsche zuvor als Steuern gezahlt haben.
Eine Erzählung, die ideologisch lesbar ist.
Nicht aus dem Kapitalismus selbst – sondern aus dem Denken des Sozialdarwinismus:
Ein Weltbild, das wirtschaftliche Schwäche als moralisches Versagen versteht.
Eine Weltanschauung, die so fest verankert ist, dass man sich kaum dagegen wehren kann.
Versucht man, das Unrecht öffentlich zu machen – durch eine Strafanzeige –
wird man nicht als Zeugin behandelt,
sondern als bloße Anzeigeerstatterin ins System der staatsanwaltlichen Vorgangsbearbeitung eingetragen.
Nicht zur Aufklärung – sondern zur Speicherung: dass die Staatsanwaltschaft bereits zuvor in einem Vorgang ermittelt hat, keine Beweise vorlagen, und daher nicht weiter ermittelt werden sollte.
Ein Schutz des bereits dokumentierten Beschuldigten.
Und wer weiterkämpft?
Dem droht sogar der Vorwurf des Prozessbetrugs – mit dem Satz: „Die Anzeigeerstatterin hat bereits wiederholt Anzeige erstattet, ohne dass sich ein Anfangsverdacht ergeben hätte.“
Man erwartet, dass man zusieht, während die eigene wirtschaftliche Existenz zerstört wird.
Dass man schweigt, während die eigene Integrität verloren geht.
Das ist das System der Vermögenden. Ein System, das offiziell nicht existiert – aber strukturell wirkt.
Was, bitte, ist mehr politisch hergestellte Ungleichheit als das?
In kommenden Artikeln dieses Magazins analysieren wir das System hinter den Gerichts‑, Mahn- und Ermittlungsverfahren, wer in diesen Verfahren über wen Macht ausübt, wie dabei Ungleichheiten hergestellt werden und wie in dem hier skizzierten Fall Verwaltung Kapitalismus als Prüfung operationalisiert.
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