Was will ein Darlehensgeber wirklich, wenn er die Rückzahlung seines Darlehens fordert, obwohl die Darlehenssumme bereits von der Darlehensnehmerin in ihr Unternehmen investiert wurde – und gleichzeitig der Darlehensnehmerin jede Verkaufstätigkeit untersagt, unter Androhung einer Mahnung, die zur Insolvenz der Einzelunternehmerin führt?
Geld zurück, sicher nicht.
Wie im Zuge der Ermittlungsakten zu lesen ist, die auf Grundlage der Anzeige der Unternehmerin wegen Geldwäscheverdachts gegen die Darlehensgeberin GmbH (Az. 212 Js 115532⁄20) und wegen Nötigung durch den Geschäftsführer der GmbH (Az. 137 Js 1164⁄21) geführt wurden, hatte dieser Geschäftsführer am 19. Januar 2021 gegenüber der Polizei geäußert: „Ich möchte noch sagen, dass ich mir einen Anwalt geholt habe, um die nicht gezahlten Raten zurückzuholen und zur Kündigung der Kredite.“ Entschieden hat sich der Geschäftsführer der Darlehensgeberin GmbH jedoch kurz danach für ein Mahnverfahren gegen die Darlehensnehmerin und für die Rückforderung der gesamten Kreditsumme.
Nach deutschem Recht (§ 688 ff. ZPO) ist das Mahnverfahren ein vereinfachtes, schriftliches Verfahren zur Durchsetzung unbestrittener Geldforderungen. Es findet keine mündliche Verhandlung statt, und der Schuldner erhält keine Gelegenheit zur Anhörung oder zur Verteidigung vor Gericht. Im Gegensatz dazu bietet ein regulärer Zivilprozess dem Schuldner – dann Beklagten – umfassende Rechte: Er kann Einwendungen vorbringen, Beweise einreichen, Gegenforderungen erheben, Fragen stellen, auf Aussagen reagieren und Rechtsmittel einlegen. Gerade deshalb ist das Mahnverfahren nur dann zulässig, wenn sichergestellt ist, dass der Schuldner den Mahnbescheid tatsächlich erhält (§ 688 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).
Wie sich aus dem Aktenauszug im Mahnverfahren (Az. 21–88880744‑0–0‑NEDV) jedoch ergibt, verfolgte der Antragsteller offenkundig nicht das Ziel, den Mahnbescheid über 150.000 Euro der Darlehensnehmerin persönlich zuzustellen.
Am 25. Februar 2021 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers durch das Mahngericht Stuttgart mitgeteilt, dass der Mahnbescheid nicht zugestellt werden konnte. Die Zustellungsurkunde der Deutschen Post AG bestätigt die Rücksendung aufgrund fehlender Zustellbarkeit.
Damit war spätestens zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass die im Mahnantrag genannte Adresse nicht mehr aktuell war. Gemäß § 688 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist die Angabe einer zustellfähigen Wohnadresse zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Mahnverfahrens.
Hätte der Anwalt die gebotene Prüfung vorgenommen, hätte er festgestellt, dass die Antragsgegnerin sowohl ihre private als auch ihre zuletzt genutzte Geschäftsadresse in Stuttgart durch einen Nachsendeauftrag zur neuen Berliner Anschrift weitergeleitet hatte. Diese Umleitungen waren spätestens seit Ende Februar 2021 aktiv und hätten eine erfolgreiche Zustellung des Mahnbescheides ermöglicht.
Stattdessen beantragte der Anwalt am 24. März 2021 erneut die Zustellung des Mahnbescheides – diesmal an eine veraltete Geschäftsadresse, die bereits seit Juni 2019 nicht mehr genutzt wurde, was dem Antragsteller nachweislich vor Vertragsabschluss bekannt war.
Eine derart veraltete Geschäftsadresse kann von der Deutschen Post AG weder verifiziert noch durch Nachsendung erreicht werden.
Wird bewusst eine unzustellbare Adresse verwendet, obwohl eine zustellfähige bekannt ist, liegt ein Missbrauch des Mahnverfahrens vor. Und diese geschieht nur, wenn Antragsteller und Justizakteure bestehende gesetzliche Grenzen gemeinsam ignorieren.
Dabei liegt dem Mahnverfahren die Absicht des Gesetzgebers zugrunde, berechtigten Antragstellenden ein beschleunigtes Instrument zur Durchsetzung ihrer Forderungen an die Hand zu geben – und zugleich eine spürbare Entlastung der Gerichte zu ermöglichen.
Warum also wird ein Mahnbescheid erlassen – aber absichtlich nicht zugestellt?
Mehr dazu im nächsten Artikel dieser Serie.