Dokumente enthüllen – Wie deutsche Institutionen wirklich arbeiten
Die Schutzformel – Wie deutsche Institutionen ihre Macht rechtfertigen
Geheime Mandatierung: Wer hat wirklich den Anwalt bestimmt?
Wenn man keine Prozesskostenhilfe (PKH) – also staatliche Unterstützung für Gerichts- und Anwaltskosten – bekommt, gilt das als Grund, warum man keinen Zugang zum Recht hatte: weil man sich keinen Anwalt leisten konnte und der Richter einen deshalb nicht verstanden hat.
Und selbst wenn das Deutsch gut ist, wird oft gesagt, man habe die juristische Fachsprache nicht richtig benutzt und sei deshalb am Ende wieder nicht verstanden worden.
Auch wenn man einen Anwalt hatte, findet sich ein anderer Grund – etwa, dass man die Gesetze nicht verstanden habe.
Am Ende steht immer derselbe Satz: „Nach deutscher Rechtslage gehandelt.“
Dann heißt es, man sei kein Jurist und kenne die deutsche Rechtslage nicht – und könne deshalb nicht beurteilen, ob das tatsächlich stimmt. Genauso tarnt sich die Macht.
Ein Redakteur der Bild-Zeitung, den ich 2023 wegen eines Berichts von Januar 2021 kontaktierte, sagte mir: „Der Prozess hat stattgefunden – also haben wir die Wahrheit gepostet.“
Die Bild-Zeitung veröffentlichte Aussagen von zwei Personen – Inhaber und Gesellschafter einer GmbH –, die zuvor in sozialen Medien behauptet hatten, ich würde meine Kunden betrügen. Laut Artikel hatte ich Anzeige wegen dieser Verleumdungen erstattet; die Polizei bestätigte den Eingang. Direkt im Anschluss berichtet die Bild-Zeitung über den Zivilprozess, den die beiden Personen vor dem Landgericht Stuttgart gegen mich angestrengt hatten – mit Forderungen von über 20 000 Euro. Der Prozess wurde am 20. Januar 2021, wenige Tage vor Veröffentlichung des Artikels, durch einen Vergleich von über 350 Euro beendet. Abschließend zitiert der Artikel einen der beiden mit den Worten: „In diesen schwierigen Zeiten [Pandemiezeit] sollte man die Vergangenheit ad acta legen.“
Zwei Monate später stellte die Staatsanwaltschaft die Anzeige ein. Diese Einstellung bedeutet: Die Aussagen der beiden Personen – ich würde Kunden betrügen und keine Rechnungen zahlen – wurden nicht als strafbare Verleumdung gewertet. Für die Staatsanwaltschaft lagen keine „Differenzen“ in der Erwiderung auf die Klage vor. Diese Formulierung klingt korrekt. Aber sie verschleiert die eigentliche Struktur: Forderung, Gegenforderung, Aufrechnung, institutionelle Verschleierung.
Nach zwei Jahren Ermittlungen wurde auch das berufsrechtliche Verfahren (Az. 14 EV 75 von 2022), das ursprünglich von der Rechtsanwaltskammer Stuttgart zur weiteren Prüfung an die Generalstaatsanwaltschaft übergeben wurde, durch die Staatsanwaltschaft eingestellt – „gemäß § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO i. V. m. § 170 Abs. 2 StPO“.
Doch laut § 116 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) darf die Einstellung eines berufsrechtlichen Ermittlungsverfahrens ausschließlich durch die zuständige Rechtsanwaltskammer oder ein Gericht erfolgen – nicht durch die Staatsanwaltschaft.
Der betreffende Anwalt kann somit weiterhin praktizieren. Laut Staatsanwaltschaft habe er korrekt gehandelt. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft habe die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens im Einklang mit der geltenden deutschen Rechtslage vorgenommen.
Ein Journalist, der 2021 für die SPD arbeitete, erklärte mir kurz nach der Einstellung: Die Aussagen der beiden Personen seien keine Verschwörung, sondern lediglich eine Reaktion aus Verärgerung – weil die Person vom Gericht nur 350 Euro zugesprochen bekam, statt der geforderten 20 000. Seine Schlussfolgerung: Die Verleumdungen seien keine Verleumdung und auch keine gezielte Ausgrenzung im Wettbewerbsmarkt. Die Staatsanwaltschaft habe die Anzeige „korrekterweise“ eingestellt – und damit den Aussagen in den sozialen Medien keine rechtlichen Konsequenzen zugewiesen. Meine Beschwerde gegen die Einstellung sei aus seiner Sicht ebenfalls lediglich eine Behauptung.
Ein enger Freund sagte mir: „Die Staatsanwaltschaft will das einfach schnell vom Tisch haben. Wir leben im 21. Jahrhundert. Ideologie war mal. Sie ist nicht mehr Teil der Institution.“
Und ein promovierter Angestellter im Umweltministerium bestand darauf: Institutionen handeln gesetzlich, nicht ideologisch. Er arbeitet täglich mit ihnen und kennt ihre Arbeitsweise. Was als Manipulation erscheint, sind Fehler, die aus Zeitdruck, Personalmangel und komplexen Vorschriften entstanden sind.
Wie im Artikel des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) zu lesen ist, zeigen aktuelle Studien: Der Zugang zum Recht wird durch rechtliche, institutionelle, soziale und ökonomische Barrieren systematisch behindert – besonders für benachteiligte Gruppen.
Als Hürden nennt das Forschungsprojekt unter anderem: fehlende finanzielle Mittel, die Komplexität juristischer Sprache, und die starke Formalisierung des Gerichtssystems.
Diese Hürden sind laut einer Studie des Bundesjustizministeriums der Hauptgrund für den Rückgang von Zivilklagen – und damit für den fehlenden Zugang zum Recht. Der Abschlussbericht des BMJ nennt als Ursachen: hohe Kosten, lange Verfahrensdauer, ungewisse Erfolgsaussichten. Deshalb soll eine Online-Klageerhebung für Kleinstbeträge eingeführt werden – als technische Lösung für ein strukturelles Problem.
Jedes Jahr werden über 20 000 Anzeigen gegen Rechtsextreme von der Staatsanwaltschaft eingestellt – mit der Begründung mangelnder Beweise oder weil der Täter nicht ermittelt werden konnte. Und die wenigen Fälle, die zu Verurteilungen führen, enden meist mit Geldstrafen.
All dies sind Schutzformeln, die tägliche Manipulationen im System durch das System selbst rechtfertigen.
Und dann wundert man sich, warum politische Straftaten Rekordzahlen erreichen.
Emile Durkheim, französischer Soziologe, sagte: Strafrecht dient als Mittel der sozialen Kontrolle. Durch die Sanktionierung von abweichendem Verhalten sollte das Strafrecht für die Stabilität der sozialen Ordnung sorgen und den Zusammenhalt der Gemeinschaft fördern.
Doch wenn politische Straftaten Rekordzahlen erreichen, aber strafrechtlich nicht verfolgt werden, dann arbeitet das Strafrecht nicht zur Kontrolle – sondern zur Entlastung. Das heißt: Die Institutionen leiten sich nicht aus dem Gesetz, sondern aus ideologischer Selektivität ab. Nicht aus Mangel an Beweisen – sondern aus Mangel an Bereitschaft, nach den Vorschriften und dem Gesetz vorzugehen.
Der Zugang zum Recht bedeutet nicht automatisch Zugang zur Gerechtigkeit.
Aber das sollte es. Denn es gilt: Gib mir die Fakten, ich gebe dir das Recht – Da mihi facta, dabo tibi ius.
Tut es aber nicht. Der Zugang zum Recht wird nicht gewährt, weil die Fakten nicht für alle gelten.
„Rechtsstaatlichkeit für alle“ – so lautet die große Schutzformel.
Sie wird von Behörden, Medien und politischen Akteuren als universelle Garantie zitiert.
Doch die Dokumente in dieser Serie zeigen: Rechtsstaatlichkeit gilt nicht für alle.
Sie gilt nicht für jene, die sich gegen rechtsextreme Strukturen stellen.
Sie gilt nicht für jene, die institutionelle Untätigkeit kritisieren – weil sie als Störung der Ordnung gelten.
Und sie gilt nicht für die Schwachen, die keine institutionelle Rückendeckung haben.
Die hier veröffentlichten und analysierten Dokumente belegen: Institutionen leiten ihre Entscheidungen nicht bei allen aus dem Gesetz ab.
Sie folgen ideologischen Mustern, die Macht schützen – nicht das Recht.
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Dokumente enthüllen – Wie deutsche Institutionen wirklich arbeiten
Geheime Mandatierung: Wer hat wirklich den Anwalt bestimmt?
